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Der Tiger von Sabrodt – revisited

Der Sonntagabend-Tatort (auch wenn es ein Polizeiruf ist): ein Ritual aus längst vergangenen Zeiten, man tut es, auch wenn man vorher schon weiss, dass es eigentlich nichts bringt. Genauso wie das Wählen in der Postdemokratie.

Nun begehe ich dieses Ritual, zugegeben nicht ganz so regelmässig wie früher, meist still und ohne Klage, jedenfalls nicht hier, also in der Öffentlichkeit. Das tun Andere besser. Seit einiger Zeit gehört zu meinem persönlichen Ritual auch dazu, mindestens eine dieser Klagen, namentlich die Dell’sche Kritik beim Freitag, nachzulesen. Geschmackssache und polarisierend, aber gerade das ist das Interessante daran, und das putzige Abarbeiten seiner Kritiker an Text, Stil und Person, die ihm jede Woche auf`s Neue die gleichen Sachen vorwerfen.

Warum also nun eine Wortmeldung zu diesem Thema? Um es im Dell-Duktus zu formulieren: This time it`s something personal, denn vordergründig ging es um Wölfe in der Lausitz.

Da ich ja hier vorhatte, persönlicher zu werden, fang ich doch gleich mal damit an: Dieser Landstrich ist eine meiner Heimaten, um es mal so ausdrücken. Nicht nur geographisch, sondern auch und vor allem ideell. Und da der Heimatdichter dieser Gegend sein Hauptwerk nur ein Dorf weiter spielen liess (das Leben tat es, nicht er, so würde er es wohl sagen), war mir der „Tiger von Sabrodt“ natürlich ein Begriff:

Der alte Müller kommt aus dem Ursorbischen und ist von der anderen Kreisseite nach Bossdom zugezogen. Er kommt aus Sabrodt. Das strohgedeckte Müllerhaus und die Windmühle hat er gekauft. Den Dofnamen Sabrodt kennt im Kreise Grodk jedes Kind. Dort lebte einstmals ein  Tiger, der Geflügel und Zickel riß und einmal sogar ein Fohlen aufgebrochen haben soll. Einige Leute hatten ihn huschen, aber niemals richtig gesehen. Man sah nur den Schaden, den er stiftete. Dem Tiger selbst begegnete man am häufigsten in Artikeln, die im Spremberger Anzeiger über ihn geschrieben wurden.

Man setzte eine Treibjagd an; es war schon ein kleiner Krieg. Gendarmen, Förster und Militär marschierten auf. Der alte Müller nahm als Treiber an diesem Krieg teil. Er hätte eigentlich eine Kriegsauszeichnung bekommen müssen, weil er zu denen gehörte, die den Tiger aufbrachten und vor die Flinten der Soldaten trieben.

Und als der Tiger endlich tot dalag, sah man, daß es ein Wolf war, ein aus Polen zugewanderter Wolf. In allen Zeitungen, bis nach Berlin hin, machte man sich über den Tiger von Sabrodt lustig. Wir im Kreise Grodk blieben ernst, stopften den falschen Tiger aus und stellten ihn ins Schloß-Museum. Dort sah ich ihn. Was aus ihm wurde, weiß ich nicht, vielleicht trugen ihn die Motten fort, vielleicht der letzte große Krieg, vielleicht steht er noch heute dort. Ich muß einmal hinfahren und nachsehen. (Der Laden, Bd. I, S.353)

Er steht immer noch dort, glaubt man Wikipedia. Und Sabrodt heisst wieder Sabrodt und nicht mehr „Wolfsfurt“, wie von den Nazis befohlen – im Gegensatz zu vielen dutzend anderen wendischen Orten, die ihre Nazi-Namen behielten.

Was war nun also mit dem Polizeiruf, „Wolfsland“ genannt und mit Fabian Hinrichs erwartungsvoll besetzt? Nicht viel, um ehrlich zu sein. Denn es ging eigentlich gar nicht um die Wölfe, sondern wie so oft, um die finstere Vergangenheit in Dunkeldeutschland:

Der Andi hat mit dreizehn die Fluchtpläne der Familie seines Banknachbarn Stefan verraten und ist deshalb trotz Viererschnitt auf die EOS gekommen. Deswegen hat ihn der Stefan dann Jahrzehnte später, wo er wegen seiner Wölfe zufällig vor Ort war, mit einem Ast erschlagen. Der Stefan tat übrigens so, als ob er damals gar nicht viel wusste von den Plänen seiner Eltern, im Gegensatz zu Andi. Dafür kann der Stefan jetzt eine ausgewachsene und erschossene Wolfsfehe kilometerweit durch den märkischen Heidesand tragen, und zwar über die Arme gelegt vor der Brust, um sie dann vorwurfsvoll vor dem Herrensitz der adligen Dame niederzuwerfen (Manch ein Besitzer mittelgroßer Hunde mag ob dieser Kraft ungläubig staunen). Diese ist natürlich aus dem Westen zurückgekommen und brachte alles wieder unter ihre Knute, so scheint es. Und sie hasst Wölfe. Nicht, weil die Tiere ihr Geschäft mit dem Jagdtourismus kaputt machen, sondern weil die Wölfe die Überreste ihres Bruders, der 14jährig im Volkssturm fiel, vertilgten. Die bösen Russen haben ihn, slawisch unzivilisiert wie sie waren, einfach liegengelassen, womöglich nur verletzt.

Da hat sich jemand eine ganz schöne Schauergeschichte ausgedacht. Ich weiss nicht, was ich unglaubwürdiger finden soll: Dass anno 45 Wölfe östlich der Oder die Schlachtfelder heimsuchten, wo doch schon der Tiger von Sabrodt so eine seltene Erscheinung war, dass die Leute eben eher mit einem aus Zoo oder Zirkus ausgebrochenen Tiger rechneten als mit einem wilden Wolf (vor dieser Episode war der letzte freilebende Wolf hundert Jahre zuvor erlegt worden, also um 1804) – oder dass ein 13jähriger mit Viererschnitt einen Platz an der EOS bekommt, weil er eine Republikflucht verhindert.

Sei es drum, es ist Fiktion und Krimi und Sonntagabendunterhaltung, schon klar. Doch es werden bestimmte Bilder, Klischees und Vorstellungen verstärkt bzw. geprägt durch die Institution Tatort. Nicht umsonst behandelt man hier immer wieder Themen wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr oder Geheimdienstmauscheleien – und manchmal gelingt das sogar früher und besser als in der „seriösen“ Tages- und Wochenpresse. Doch schon allein, dass der „Polizeiruf 110“ innerhalb des Sonntagabendkrimis (der eigentlich „letzter freier Abend vor dem nächsten ordentlichen Werktag-Krimi“ heissen müsste, falls sich wer fragt, warum zu Ostern oder Weihnachten gern mal montags gesendet wird) ungefähr genausoviel eignenes (ostdeutsches) Profil hat wie Bündnis 90 bei den Grünen, spricht Bände.

Die deutsch-deutschen Befindlichkeiten neu zu beleuchten, hätte man also sowieso nicht erwarten dürfen. Schade ist es allerdings um das Thema „Wolfsansiedlungen in Deutschland“, wenn zu den unstrittig schönen Bildern des Films eben auch die gehören, in denen der Wolf des Nachts durch den durchaus bewohnten Ort, namentlich die Hauptstrasse spaziert. Man müsste mal die Experten fragen, was sie davon hielten. Und sie viel mehr unterstützen. Denn mir sind die Wölfe in Deutschland lieber als die meisten Menschen. Fabian Hinrichs – Waldner (nomen est omen, oha) – hat zumindest einen schönen Satz drei schöne Sätze in den Mund gelegt bekommen(frei aus der Erinnerung zitiert): Man sagt ja, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Aber das stimmt nicht, das können sie vergessen. Wölfe machen sowas nicht.

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